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Kräfte im Gleichgewicht: Die „Vier-Saft-Lehre“ und ihre Bedeutung für die menschliche Natur

Autorenbild: Susanne HeinenSusanne Heinen


Schon in der Antike suchten Gelehrte nach Erklärungen für die komplexen Zusammenhänge von Körper, Geist und Gesundheit. Eine der prägendsten Theorien entstand dabei im alten Griechenland. Die Vier-Saft-Lehre, entwickelt von dem griechischen Arzt Hippokrates, ist eine der ältesten Theorien zur Erklärung der menschlichen Gesundheit und Persönlichkeit. Diese Lehre beruht auf der Vorstellung, dass der Körper aus vier grundlegenden Flüssigkeiten, nämlich Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle besteht, deren Gleichgewicht über das Wohlbefinden entscheidet.


Nicht nur Hippokrates, sondern auch der rund 400 Jahre später wirkende Galenos prägte diese Theorie maßgeblich weiter, indem er eine umfassende Analyse des Zusammenspiels der Körpersäfte entwickelte und deren Einfluss auf das Wesen und die Persönlichkeit des Menschen genauer untersuchte


In diesem Artikel möchte ich einen Blick auf die Ursprünge und die Entwicklung der Vier-Saft-Lehre werfen und wie sie das Verständnis von Gesundheit und Charakter im antiken Denken beeinflusste. Inwieweit hat diese alte Lehre noch heute Gültigkeit, wenn es um das Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist geht, insbesondere in Bezug auf unser modernes Verständnis von Gesundheit und Persönlichkeit?


Dieser Beitrag beleuchtet:


 

Hippokrates und die Humoralpathologie


Hippokrates von Kos (ca. 460 v. Chr. - 370 v. Chr.) war ein griechischer Arzt, der als einer der bedeutendsten Vertreter der antiken Medizin gilt. Er wird oft als „Vater der Medizin“ bezeichnet, da er das medizinische Denken von magischen und religiösen Erklärungen hin zu einer rationaleren und wissenschaftlicheren Herangehensweise lenkte. Hippokrates legte großen Wert auf Beobachtung und Diagnostik und betonte, dass Krankheiten natürliche Ursachen haben und nicht von Göttern oder übernatürlichen Kräften abhängen.


Hippokrates entwickelte auch die sogenannte „Humoralpathologie“, eine Theorie, die besagt, dass die Gesundheit des Menschen im Gleichgewicht der vier Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle) liegt. Störungen in diesem Gleichgewicht wurden als Ursache für Krankheiten betrachtet. Er hinterließ viele Schriften, darunter der berühmte „Hippokratische Eid“, der auch heute noch ein ethisches Fundament für medizinische Berufe darstellt.


Sein Einfluss auf die Medizin war enorm, und viele seiner grundlegenden Ideen, auch wenn sie im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt oder teilweise widerlegt wurden, wirken bis heute nach. Insbesondere in der ganzheitlichen Betrachtung von Gesundheit und der Bedeutung von Prävention und Balance im menschlichen Körper.


 

Die Vier-Saft-Lehre der Antike


Ein besonders faszinierender Aspekt der Vier-Saft-Lehre ist ihre Entwicklung und die weitreichenden Einflüsse, die sie auf die antike Philosophie hatte. Bereits Hippokrates legte mit seiner Theorie der Körpersäfte den Grundstein, doch auch Philosophen jener Zeit nahmen diese Konzepte auf und erweiterten sie, indem sie Ableitungen zum Naturell und Verhalten der Menschen formulierten. In diesem Abschnitt werfen wir einen Blick auf diese Entwicklung und untersuchen, wie die Philosophen die Vier-Saft-Lehre weiterdachten.


Ein prominenter Philosoph, der die Idee der Vier-Saft-Lehre aufgriff, war Galenos von Pergamon, kurz Galen, (ca. 129 v. Chr. - 216 v. Chr.), obwohl er eher als Arzt denn als klassischer Philosoph bekannt ist.


Galen lebte etwa 400 Jahre nach Hippokrates und baute auf dessen Konzept der Körpersäfte auf. Während Hippokrates die Theorie zunächst als eine Erklärung für die Gesundheit und Krankheit des Körpers formulierte, erweiterte Galen diese Lehre, indem er die vier Säfte (Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle) mit den menschlichen Temperamenten und Persönlichkeitsmerkmalen verband.


In der antiken Philosophie wurde die Vier-Saft-Lehre also nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch und philosophisch weitergedacht, wobei Galen als wichtigster Denker in dieser Tradition gilt.


Weiterhin finden sich auch Einflüsse in der stoischen Philosophie, die das Thema des Gleichgewichts und der Harmonie, wie sie in der Humoralpathologie von Hippokrates angelegt sind, thematisieren.


Hier stichpunktartig eine Übersicht der Einteilungen in der Vier-Saft-Lehre:


Schwarze Galle (Melancholé)


  • Sitz: Milz

  • Charakterzug: Melancholisch – nachdenklich, introvertiert, ernst

  • Element: Erde

  • Symbolik: Tiefe, Reflexion, Schwermut und kreative Inspiration



Gelbe Galle (Cholé)


  • Sitz: Leber

  • Charakterzug: Cholerisch – hitzig, temperamentvoll, impulsiv

  • Element: Feuer

  • Symbolik: Leidenschaft, Tatkraft, aber auch Reizbarkeit und Zorn



Blut (Sanguis)


  • Sitz: Herz

  • Charakterzug: Sanguinisch – optimistisch, lebensfroh, kontaktfreudig

  • Element: Luft

  • Symbolik: Energie, Lebensfreude, Beweglichkeit



Schleim (Phlegma)


  • Sitz: Gehirn

  • Charakterzug: Phlegmatisch – ruhig, gelassen, manchmal träge

  • Element: Wasser

  • Symbolik: Stabilität, Ruhe, Ausdauer


 

Übersicht der Eigenschaften der Vier-Saft-Lehre


Die Vier-Säfte-Lehre wurde ebenfalls zur Einteilung von Menschen in verschiedene Gemütsarten genutzt, ähnlich wie die drei Doshas (Vata, Pitta, Kapha) im Ayurveda. Die Lehre ging davon aus, dass die individuelle Persönlichkeit, das Temperament und die körperliche Verfassung eines Menschen durch das vorherrschende Gleichgewicht oder Ungleichgewicht der vier Körpersäfte geprägt werden.


Hier ein kleiner Einblick in die vier Temperamente der Vier-Säfte-Lehre von der eher philosophischen Interpretierung:


„Der schwarze Jammer“, ©Susanne Heinen
„Der schwarze Jammer“, ©Susanne Heinen


Melancholiker (schwarze Galle)


  • Eigenschaften: Nachdenklich, ernst, introvertiert, empfindsam, oft kreativ

  • Stärken: Tiefgründigkeit, Reflexion, künstlerische Begabung

  • Schwächen: Neigung zu Grübeleien, Pessimismus oder Schwermut




„Die gelbe Wut“, ©Susanne Heinen
„Die gelbe Wut“, ©Susanne Heinen


Choleriker (gelbe Galle)


  • Eigenschaften: Temperamentvoll, ehrgeizig, impulsiv, energisch

  • Stärken: Führungsstärke, Entschlossenheit, Tatkraft

  • Schwächen: Reizbarkeit, Ungeduld, manchmal herrisch





„Die rote Freude“, ©Susanne Heinen
„Die rote Freude“, ©Susanne Heinen



Sanguiniker (Blut)


  • Eigenschaften: Optimistisch, kontaktfreudig, heiter, impulsiv

  • Stärken: Lebensfreude, Offenheit, Charisma

  • Schwächen: Oberflächlichkeit, Sprunghaftigkeit





„Die braune Langsamkeit“, ©Susanne Heinen
„Die braune Langsamkeit“, ©Susanne Heinen


Phlegmatiker (Schleim)


  • Eigenschaften: Ruhig, gelassen, zuverlässig, eher introvertiert

  • Stärken: Stabilität, Geduld, Besonnenheit

  • Schwächen: Trägheit, mangelnder Ehrgeiz






Hier ergeben sich auch spannende Parallelen zum Ayurveda, wo ein Überwiegen von Vata, Pitta oder Kapha den Charakter und die körperliche Verfassung eines Menschen prägt. Die Vier-Säfte-Lehre betonte, dass ein gesundes Gleichgewicht zwischen den Säften ideal ist. Ein Übermaß eines Saftes, vergleichbar mit einem Dosha-Ungleichgewicht im Ayurveda, wurde als Ursache für körperliche und seelische Krankheiten betrachtet.


Nachdem das Thema der Vier-Saft-Lehre ein Gebiet mit so vielen Unterabteilungen ist, schließe ich den Exkurs an dieser Stelle. In weiteren Blogartikeln greife ich dann die einzelnen Temperamente nochmals auf.



Zum Thema Melancholie gibt es bereits einen Artikel „in Arbeit“, den ich hier verlinke, sobald er online ist.



Die anderen drei Temperamente wirst du in jeweils gesonderten Blogbeiträgen wiedersehen.

Wir sehen uns bald wieder :-)
Wir sehen uns bald wieder :-)
 

Typologien der Persönlichkeit im Wandel der Zeit


Die antike Vier-Saft-Lehre hatte eine erstaunliche Bedeutung als Grundlage für neuere Ansätze in der Psychologie, auch wenn ihre medizinische Basis im Laufe der Jahrhunderte überholt wurde. Die Idee, dass körperliche Zustände und Persönlichkeitsmerkmale miteinander verbunden sind, hat den Weg für die Temperamentlehre und später für psychologische Typisierungen geebnet.


  1. Temperamente-Lehre: Die Einteilung der vier Körpersäfte und deren Verbindung zu den vier Temperamenten (Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker, Melancholiker) wurde über Jahrhunderte hinweg weiterentwickelt. Diese Typisierung diente als Grundlage für spätere Persönlichkeitsmodelle, etwa jene von Carl Gustav Jung, die das Konzept der unterschiedlichen Charaktere weiter verfeinerten.


  2. Psychosomatische Medizin: Die Vier-Saft-Lehre brachte die Idee hervor, dass körperliche und seelische Gesundheit miteinander verknüpft sind. Dieser Grundgedanke beeinflusste die Entwicklung der psychosomatischen Medizin und führte zu einem holistischen Blick auf den Menschen.


  3. Moderne Persönlichkeitspsychologie: Auch wenn die 4-Saft-Lehre selbst heute veraltet ist, spiegeln sich ihre Grundideen in modernen Persönlichkeitstheorien wider. Zum Beispiel greifen die Modelle der „Big Five“-Persönlichkeitsmerkmale oder der Myers-Briggs-Typenindikator die Idee auf, dass Menschen in ihrer Persönlichkeit einzigartig, aber dennoch in typischen Mustern beschreibbar sind.


  4. Balance als Leitmotiv: Die Vier-Saft-Lehre betonte die Bedeutung eines Gleichgewichts im Körper, um Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten. Dieses Konzept findet sich in modernen Ansätzen wie der Stressforschung und Resilienzpsychologie wieder, die ebenfalls die Balance zwischen körperlicher und psychischer Gesundheit betonen.


Die Vier-Saft-Lehre ist heute wissenschaftlich nicht mehr haltbar und vermutlich haben die wenigsten jemals von ihr gehört. Doch sie hat mit ihrer Verbindung von Körper, Geist und Persönlichkeit einen wichtigen gedanklichen Grundstein gelegt, auf den viele modernere psychologische Ansätze aufgebaut haben.


 

Künstlerische Reflexion im artCounseling


Eine nähere Betrachtung dieser vier Temperamente greife ich auch in meinem Workshop mit folgendem Titel auf:


„So bin ich doch gar nicht, -eigentlich“


Der Titel könnte dir vielleicht ein Schmunzeln entlocken, besonders wegen des Wortes „eigentlich“. Es spielt auf die Selbstwahrnehmung und die überraschenden Wendungen an, die unsere Temperamente oft mit sich bringen. Denn oft erkennen wir uns in den klassischen Typisierungen nicht sofort wieder, und doch zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass mehr von uns darin steckt, als wir zunächst glauben.


Im Workshop nähern wir uns erst schriftlich und dann im Austausch den vier Eigenheiten dieser Temperamente. Wir erstellen aus Texten und Impulsen unsere eigenen Resonanzbilder und gehen mit diesen dann in den künstlerischen Ausdruck.


Durch die Selbstreflexion kann vielleicht eine Annäherung oder ein Ausgleich erreicht werden, wenn Temperamente in Schieflage geraten sind. Ich freue mich, wenn ich dein Interesse geweckt habe, alle Informationen erhältst du direkt im Newsletter, wenn der Workshop startet und buchbar ist.




Neuigkeiten dazu erfährst du in meinem Newsletter.


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